Forschungsprojekt „Dörfliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972, 1993, 2012“

Langzeitstudie finanziert durch das Bundeslandwirtschaftsministeriums

Teilprojekt: Kindheit im Wandel

Laufzeit: 01.07.2012 bis 30.09.2014

Prof. Dr. Andreas Keil, Prof. Dr. Charlotte Röhner, Dr. Stefan Padberg,
Dipl. Geogr. Michael Godau, Dipl. Geogr. Ina Jeske, BA Jennifer Müller,
Nur Seyfi (SHK), Mira Schraven (SHK)

Wie hat sich die Kindheit im dörflichen Raum gewandelt? Wie beurteilen die Kinder ihre aktuelle Lebenssituation? Wie beurteilen die Eltern die Lebenssituation ihrer Kinder? Welche Muster des Aufwachsens zeigen sich im ländlichen Raum?

Das sind die Forschungsfragen, denen im Rahmen der Längsschnittstudie „Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972, 1993 und 2012“ in der Teilstudie zu Kindheit im ländlichen Raum durch Forscher_innen der Bergischen Universität Wuppertal nachgegangen werden konnte. Somit konnten Daten zu vergangenen Kindheiten in historisch-zeitlicher Perspektive und Daten zur aktuellen Kindheit aus der Perspektive der 5- bis 13-jährigen Kinder im ländlichen Raum erhoben und ausgewertet werden.

Bei der Vorgehensweise wurde ein Mix unterschiedlicher qualitativer und quantitativer Methoden der empirischen Sozialforschung gewählt, um Entwicklungstendenzen von Kindheiten im ländlichen Raum erfassen und bewerten zu können. Leitendes methodologisches Prinzip der Studie war, die Perspektiven der Kinder zu erfassen und durch geeignete Verfahren zu erheben. Daher wurden neben der Einwohner_innenbefragung in Dörfern ganz Deutschlands, die die Sicht von Erwachsenen auf Kindheit abbildet, Daten mit qualitativen Methoden der Feldforschung wie z.B. von Kindern geführte Dorfbegehungen, Gruppendiskussionen mit Kindern, teilnehmender Beobachtung und Interviews sowie über zahlreiche informelle Gespräche in ausgewählten Dörfern West- und Ostdeutschlands erhoben. Als zusätzliche Methode wurde eine Datenerhebung mit Global-Positioning-System-(GPS) Empfängern durchgeführt. Dabei wurden die Kinder mit GPS-Geräten ausgestattet, die automatisiert Daten zu den Räumen und Zeiten der Kinder im ländlichen Raum aufzeichneten. Diese wurden dann als Bewegungsmuster auf digitalen Karten dargestellt und ausgewertet.

Die Forschungsfrage nach dem Wandel der Kindheit im ländlichen Raum wurde durch Mehrgenerationeninterviews über vier Generationen zu verschiedenen, die Kindheit moderierenden Indikatoren untersucht. Im Generationenverlauf haben sich die Kindheiten in den Untersuchungsdörfern von einer alt-dörflichen Kindheit mit Mithilfezwang im elterlichen Betrieb über eine lokal-dörfliche Kindheit mit hohem Spiel- und Freiheitsgrad, zu einer modernisierten bzw. teilmodernisierten, regional-dörflichen Kindheit mit einer (noch) schwach ausgeprägten Tendenz zur Institutionalisierung von Kindheit hin entwickelt. Es konnten Veränderungen der Mobilität („vom Holzschuh zum SUV“), bei den Spielorten und den Bildungsaufstiegen nachgewiesen werden. Nach wie vor kann man jedoch im dörflichen Raum von einer „Draußen-Kindheit“ sprechen, die sich auf normierten, familialisierten Spielflächen wie dem umzäunten Garten am Wohnhaus, aber auch auf wilden, freien Spielflächen, die durch Aneignung der Kinder Umnutzungen erfahren, abspielt.

Die heutigen Kinder im ländlichen Raum beurteilen ihre Lebenssituation durchweg positiv. Als Gründe werden ein eigenes Haus, ein eigener Garten und die Möglichkeit für den Umgang mit Haus- und Nutztieren genannt. Die neuen Medien werden von ihnen genutzt und geschätzt, ersetzen jedoch nicht das Draußenspielen.

Aus der Perspektive der Eltern wird bestätigt, dass es genügend frei zugängliche und gefahrlos bespielbare naturnahe Räume für die Kinder gibt. Das Muster der behüteten Kindheit gilt aber auch im dörflichen Raum, denn die Eltern bevorzugen das Spielen ihrer Kinder im eigenen Garten, wenn die Gefährdung durch den Autoverkehr aus ihrer Sicht problematisch wird. Insofern deuten die Befunde auf gelingende, „gute“ Kindheiten im ländlichen Raum hin. Gleichwohl markieren mangelnde soziale und kulturelle Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten in peripheren, demographisch stark schrumpfenden Dörfern problematische Ausschlussprozesse von Kindern und Jugendlichen, wobei nicht nur in den belasteten Dörfern von den Eltern das Fehlen von kinderkulturellen Freizeitangeboten beklagt wird.

Die für jedes Untersuchungsdorf ermittelten spezifischen Kinderdorfprofile dokumentieren, dass im ländlichen Raum kein einheitliches Kindheitsmuster vorliegt, sondern eine Diversifikation zu bilanzieren ist. Dies ist mit den zahlreichen Kontextfaktoren (kulturell, sozial, geographisch, politisch-historisch etc.) zu begründen, die für die Kindheit relevant und in den Dörfern sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Insofern variieren die mit der vorliegenden Untersuchung erhobenen Kindheitsmuster zwischen den Ausprägungen einer modernisiert individualisierten, teilmodernisierten und einer marginalisiert-dörflichen Kindheit, die jeweils eher lokal- oder regionaldörflich ausgerichtet sein können. Diese Diversifikation von Kindheitsmustern im ländlichen Raum kann als Ausdruck einer postmodernen Entwicklung bezeichnet werden, die hochgradig individualisiert und durch eine Vielzahl von Erscheinungs- und Gestaltungsformen der Kindheit geprägt ist.

Schlüsselwörter: Wandel von Kindheit in ländlichen Regionen, Raumwahrnehmung und Raumkonstruktion, Raumnutzungsverhalten, Kindheitsmuster

Veröffentlichung: www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen-Report_32-3.pdf

How has childhood in rural areas changed? How do children judge on their current living conditions? How do parents judge on their children´s living conditions? Which patterns of growing up occur in rural areas?

These are the research questions which could be pursued by researchers form Bergische Universität Wuppertal in the context of the longitudinal study “Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972, 1993 and 2012 (Changing Living Conditions in Rural Areas 1952, 1972, 1993 and 2012)”, here: sub-study on childhood in rural areas. The study allowed for collecting and assessing data on past childhoods from a historical-chronological perspective as well as data on current childhood from the perspective of children at the age of 5-13 in rural areas.

For the way of proceeding, one decided for a mix of different qualitative and quantitative methods of empirical social research, to be able to record and assess development trends of childhood in rural areas. The guiding methodological principle of the study was to record the perspectives of children by way of appropriate methods. Thus, apart from surveys among the inhabitants of villages all over Germany to depict the adult view of children, data were collected by way of qualitative methods of field research, such as inspections of villages together with children, group discussions with children, participating observations and interviews as well as a number of informal conversations in selected villages of West and East Germany. As an additional method, there was data collection by help of Global Positioning System (GPS) receivers. For this purpose, children were provided with GPS devices for the automatic recording of data on where and when children spent their time in rural areas. These data were then, in the form of movement patterns, depicted on digital maps and assessed.

The research question about how childhood in rural areas has changed was studied by way of multigenerational interviews covering more than four generations. The interviews tackled several, childhood-moderating indicators. Over the generations, childhood in the studied villages has changed from an ancient village childhood of being forced to help at the parents´ farms and craft businesses via a local village childhood with much playing and leisure time to have become a modernized or partly modernized regional village childhood showing a (still) weak tendency towards childhood becoming institutionalised. Evidence could be provided for changes of mobility (“from clogs to SUV”), of playgrounds and educational climbing. Still, however, in villages we may speak of an “outside childhood” happening at normed, familialized playgrounds such as the fenced garden at the house, but also at wild, free playgrounds which are re-used due to being appropriated by children.

Today´s children in rural areas judge frequently positively on their living conditions. A family-owned house, a family-owned garden and the possibility of having contact to pets and livestock are given as reasons. However, the pattern of sheltered childhood is valid also in rural areas, for parents prefer their children to play in their own gardens if, in their opinion, danger by traffic becomes a problem. Nevertheless, peripheral, demographically much shrinking villages are characterised by a lack of social and educational participation possibilities, resulting in the problematic exclusion of children and youths. In this context, parents lament the lack of child culture-appropriate leisure facilities not only in burdened villages.

The profiles of being child-appropriate which were investigated for each village document that in rural areas there is no standardised childhood pattern but diversification must be stated. The reasons for this are the many contextual (cultural, social, geographic, political-historical etc.) factors which are relevant for childhood and are very different in the respective villages. In so far, the childhood patterns recorded in the context of the here presented study vary from distinctions of a modernised, individualised, partly modernised and marginalised village childhood which may be different in each case, according to place or region. This diversification of childhood patterns in rural areas may be called an expression of a post-modern development which is highly individualised and characterised by a number of ways in which childhood may appear and be organised.

Keywords: changing childhood in rural areas, perception and construction of space, ways of making use of space, childhood pattern

www.thuenen.de/media/publikationen/thuenen-report/Thuenen-Report_32-3.pdf

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